Einblick in die Restaurierungsarbeiten von Notre-Dame | Die Tagespost

2023-02-16 16:35:21 By : Ms. ruth luo

Glück im Unglück? Auch wenn die Fenster und Kunstgegenstände in der Pariser Kathedrale Notre-Dame vom Feuer verschont blieben, sind nach der Verschmutzung durch Rauch und Bleistaub aufwendige Reinigungsarbeiten notwendig. Die Bauherren nutzen die Gelegenheit zu einer umfangreichen Restaurierung: Bei ihrer Wiedereröffnung 2024 wird Notre-Dame schöner strahlen als sie ein heute Lebender je erblickt hat.

Über 50 Betriebe restaurieren Steinskulpturen, Schreinerarbeiten, Marmorböden und Parkett, Kirchenleuchter, Gemälde, Kunstschmiedearbeiten, Wandmalereien und Fenster. Zu ihnen gehört auch die Werkstatt von Glasermeister Emmanuel Putanier. Sein Betrieb Vitrail France ist im französischen Departement Sarthe angesiedelt und liegt nördlich von Le Mans, umgeben von Wäldern und Weiden. Ein Besuch in der Werkstatt liefert einen faszinierenden Einblick in ein Berufsfeld, dessen Techniken und Materialien sich seit dem Mittelalter nicht wesentlich verändert haben. Weiterentwickelt wurden die Brenntechniken und die Zusammensetzung des Glases - das handwerkliche Können bleibt seit Jahrhunderten dasselbe.

"Die Glaserei ist einer der wenigen Berufe, in dem man noch entwirft, herstellt und einbaut", beschreibt Emmanuel Putanier seine Faszination für die Arbeit mit Glas. 22 Glaser arbeiten in dem Betrieb. Sie alle sind Meister - den Titel trägt jedoch nur der Chef. In einem hohen und hellen Raum entwerfen sie maßstabgetreue Vorlagen, schneiden Glas, verbinden Glasstücke mit Blei und Lötzinn. In einem Nebenraum sitzen die Glasmaler und malen winzige Gesichter auf bunte Glaselemente.

Vitrail France war bereits wenige Tage nach dem Brand im April 2019 vor Ort und half dabei, die Bleiglasfenster im Rahmen der Sicherungsarbeiten an der Pariser Kathedrale zu entfernen. Heute gehört der Betrieb zu den neun Werkstätten und Verbünden von Glasermeistern, die nach einer Ausschreibung durch die öffentliche Einrichtung zur Restaurierung der Kathedrale an den Fenstern Notre-Dames arbeiten dürfen.

Putanier und seine Kollegen arbeiten größtenteils an Kirchenbauten. Manchmal, wie aktuell im Fall der Kathedrale von Bayeux, ist die Werkstatt an kompletten Neuschöpfungen von Kirchenfenstern beteiligt. Oft geht es um Restaurierung, wie vor einigen Jahren die Fenster der Sainte-Chapelle in Paris oder jetzt Notre-Dame. "Restaurierung ist eine Begegnung mit einer anderen Epoche. Je nach Epoche und Herkunft variieren die angewandten Techniken der Glaserei und Glasmalerei. Daher ist Kunstgeschichte ein wesentlicher Teil der Ausbildung und der täglichen Arbeit", erklärt Putanier. Die zehn Bleiglasfenster, die Vitrail France für die Pariser Kathedrale restauriert, stammen aus dem oberen nördlichen Hauptschiff. "Unsere Kölner Freunde haben übrigens die Fenster gegenüber", lacht Putanier. Tatsächlich restauriert die Kölner Dombauhütte mit einem kleinen Team aus Glasermeistern und Glasmalern vier Bleiglasfenster aus dem oberen Hauptschiff.

Insgesamt 39 obere Kirchenfenster aus dem Hauptschiff, den Seitenschiffen, dem Chorraum und der Sakristei befinden sich zu Reinigung und Restauration in den neun Werkstätten. Die unteren Fenster und die Galeriefenster werden vor Ort gereinigt. Die Fensterrosen an der Westfassade und dem Nord- und Südquerschiff stammen aus dem dreizehnten Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert ersetzte der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im Rahmen seiner umfangreichen Restaurierungsarbeiten an der Kathedrale die meisten übrigen Fenster im neogotischen Stil. Von Viollet-le-Duc stammt auch der Vierungsturm, die restaurierte Königsgalerie der Westfassade und der Hochaltar mit der Piet , der 2019 auf wundersame Weise von den Trümmern der Vierung verschont geblieben ist.

Mit dem 20. Jahrhundert hielt die abstrakte Kunst Einzug in die Glasmalerei. So ersetzte Jacques Le Chevallier nach dem Krieg die Fenster des oberen Kirchenschiffs, darunter auch die, die sich jetzt bei Emmanuel Putanier befinden. "Das war damals etwas ganz Neues", erzählt der Glasermeister. Technisch gesehen seien diese Fenster keine große Herausforderung, im Gegensatz etwa zu der detaillierten Glasmalerkunst des Hochmittelalters. Trotzdem handle es sich bei den Chevallier-Fenstern um ein monumentales Werk, das eine Reflexion über das gesamte obere Kirchenschiff beinhalte. Um die Restauration durchführen zu können, muss ein Teil der Fenster auseinandergenommen werden. "Man entfernt die äußeren Bleirahmen und erhält so ein kleines Puzzle aus Glasstücken. Die werden nummeriert, sodass man das Puzzle wieder zusammensetzen kann", erläutert Putanier. Seine Kollegin Jennifer zeigt, welche Techniken zur Reparatur zerbrochener Gläser eingesetzt werden. Sind die Kanten ganz glatt, kann eine Art Silikonkleber verwendet werden, sodass die Bruchstelle nahezu unsichtbar ist. Passen die Bruchkanten nicht ganz perfekt aufeinander, arbeitet man mit der sogenannten Tiffany-Technik, bei der die Bruchstelle mit einem schmalen Kupferstreifen versehen und mit Zinn verlötet wird. "Das ist dünner und viel leichter als Blei", erklärt Jennifer.

Ziel der Restaurierung ist es, die Authentizität des Kunstwerks zu erhalten. Deshalb wird jedes Glasstück, auch die zerbrochenen, erhalten und repariert. "Für uns wäre es manchmal viel einfacher und schneller, ein zerbrochenes Stück einfach durch ein neues zu ersetzen. Aber wenn man damit erst einmal beginnt, verliert man irgendwann die Authentizität des Meisters", betont Putanier. Für den Glasermeister ist es immer wieder besonders, Teil eines größeren Ganzen zu sein, das gemeinsam etwas erschafft oder erhält. Gerade das fasziniert ihn an der Mitarbeit an Notre-Dame: "Hier interagieren so viele verschiedene Berufe miteinander und unterstützen sich gegenseitig." Ab dem nächsten Frühjahr wird Putanier bei der Wiedereinsetzung der Fenster mitwirken.

Der Reichtum der Fenster spiegelte sich bis vor 40 Jahren an besonderen Tagen am Boden wieder, das letzte Mal anlässlich des Besuchs Papst Johannes Pauls II. in Paris 1980. Damals wurde der große Teppich des Chorraums - 25 Meter lang, 8 Meter breit, insgesamt etwa 200 Quadratmeter groß und eine Tonne schwer - zum letzten Mal im Rahmen der Liturgie verwendet. Vom letzten Bourbonenkönig Karl X. in Auftrag gegeben und Mitte des 19. Jahrhunderts fertiggestellt, befand er sich während des Großbrands in seinem Koffer im Innenraum der Kathedrale. Heute bessern Kunsthandwerkerinnen, die immer noch den alten Namen "rentrayeuses" tragen, kleinere Mottenschäden an dem wunderbar erhaltenen Stück aus. Sie arbeiten in der seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Savonnerie-Manufaktur in Paris, in der der Teppich auch entstanden ist.

Der farbenfrohe Teppich ist meist versteckt, viele der Fenster befinden sich so weit oben, dass sie den meisten Besuchern und Betern nicht auffallen. Trotzdem sind die Handwerker mit großer Hingabe und Liebe zum Detail am Werk, denn eine Kathedrale ist ein Gesamtkunstwerk durch die Jahrhunderte. Sie wissen, dass sie an etwas arbeiten, das über ihren eigenen Beitrag hinausdeutet. Bei den Fenstern wird das besonders deutlich: Es geht letztlich nicht um sie, sondern um das Licht, das sie hindurchlassen.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.